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Pressemeldung

Workshop ohne Skript

Viele Netzwerkkoordinierende haben das schon mal erlebt: Eine Veranstaltung ist gut vorbereitet, doch dann kommen weniger Teilnehmer als erwartet, Redebeiträge gehen am geplanten Thema vorbei oder der Beamer streikt aus unerfindlichen Gründen. Trainerin Julia Spieß hat für diese Situationen hilfreiche Werkzeuge aus dem Improvisationstheater zur Hand. Beim LVR-Seminar „Spontan handeln und intuitiv entscheiden – das geht auch vor großen Gruppen“, übten Netzwerkkoordinierende, wie sie Unvorhergesehenes in positive Bahnen lenken können. Ein Bericht der LVR-Mitarbeiterin Natalie Deissler-Hesse, die an dem Seminar teilgenommen hat.

Nervöse Handgriffe am Laptop kurz vor Seminarbeginn gibt es nicht bei Julia Spieß. Denn sie hat eigentlich nichts mitgebracht, außer Ball und Stift als Requisiten für eine Gruppenübung. „Ich habe kein Drehbuch für heute“, verkündet sie. Aufgeschlossen und strahlend wirkt sie. Um eine gute Veranstaltung zu leiten, scheinen Motivation und Spaß an der Arbeit auszureichen. Doch schafft es die Trainerin auch, etwas von ihrer Gelassenheit auf uns zu übertragen?

Berieseln lassen fällt aus

Es geht direkt los mit der Übung „Moin, ich bin der Hein.“ Sprechrhythmen im Stehen, dann machen die linke Hand, der rechte Fuß, Kopf, Po und Zunge mit. Eine Teilnehmerin ist peinlich berührt. Machen wir uns hier zum Affen? Tatsächlich ist nach dieser Übung etwas mit uns passiert: Wir sind hellwach, neugierig auf den Tag und haben unsere Hemmungen überwunden. Ein guter Start für Bühnenpräsenz. Julia Spieß zeigt uns, dass es keinen alleinigen „Vorturner“ geben muss, bei dem sich die Anwesenden entspannt zurücklehnen und schlimmstenfalls bis zum Ende der Veranstaltung in dieser Position verharren. Die Trainerin will uns mit Übungen aus dem Improvisationstheater aus der Reserve locken und aktivieren. Genau das wünschen wir uns auch, wenn wir selbst eine Veranstaltung leiten: ein aktives Publikum und sprudelnde Ideen. Doch dazu müssen Kopf und Körper in Bewegung bleiben. Manchmal ist es besser, auf der Tischkante zu sitzen und die Beine baumeln zu lassen, als die gewohnte Stuhlhaltung einzunehmen. Eine Veränderung im Setting, und wenn auch nur eine kleine, aktiviert die Teilnehmer: weil es nicht so ist, wie es immer ist. „Holt die Leute hinter den Tischen hervor!“, gibt uns die Improvisationskünstlerin mit auf den Weg.

Einfach machen!

Welche E-Mails lese ich? Welche bearbeite ich sofort? Wann, wo und was kaufe ich ein? Täglich treffen wir unzählige Entscheidungen. Wer sich darauf einlässt, viel über das wie und warum nachzudenken, stößt ständig auf neue Schwierigkeiten und handelt zögerlich. Bei unserer nächsten Gruppenübung „Hey und Ho“, geht es darum, sich strikt erst an eine, dann an zwei logische Abfolgen gleichzeitig zu halten. Wer bei dem Spiel über die Systematik nachdenkt oder versucht, sie zu verstehen, verpasst seinen Einsatz – der Ablauf in der Gruppe wird unterbrochen. Erstaunlich, wie schwer es uns Teilnehmenden fällt, das Denken auszuschalten und einfach mal nur zu machen.

Mit weiteren Intuitions- und Improvisationsübungen setzt Julia Spieß unterschiedliche Impulse. Im Spiel reflektieren wir Teamstrukturen und arbeiten an unserer Reaktionsfähigkeit. Wir steigern unsere Konzentration und triggern unsere Kreativität durch Assoziationsketten. Alle Übungen machen wir im Stehen und haben es nicht mal gemerkt. „Was braucht ihr jetzt?“ fragt die Trainerin in die Runde. „Weitere Übungen? Input? Oder lieber eine Pause?“ Improvisation in ihrer reinsten Form. Wir einigen uns darauf, die „goldenen Improvisationsregeln“ zu üben. Sie lassen sich hervorragend an den Erfahrungsberichten der Teilnehmenden erläutern und dienen als Hilfestellungen für anstehende Präsentationen oder Veranstaltungsmoderationen.

Fehler verlieren ihren Schrecken

Eine Netzwerkkoordinatorin berichtet von einem Fachtag, den sie alleinverantwortlich und mit den höchsten Ansprüchen an sich selbst vorbereitet hatte. Trotz der sorgfältigen Planung wurde es eine „Horrorveranstaltung“. Sind die gemachten Fehler etwas Schlimmes? Ganz im Gegenteil, denn jeder Fehler eröffnet neue Möglichkeiten und bringt einen Erkenntnisgewinn. So wie jedes falsch geschriebene Wort im Diktat nachgearbeitet und beim nächsten Mal meist richtig geschrieben wird, können wir Fehler als wertvolle Hinweise nutzen, um Prozesse stetig zu verbessern und unsere Ziele zu erreichen. Denn eine wichtige Improvisationsregel lautet: FEHLER SIND EIN GESCHENK. Wir fragen uns: Was genau ist schiefgelaufen und was kann ich daraus lernen? Um Störungen den Schrecken zu nehmen, können sie offen angesprochen und in den Ablauf integriert werden: „Ich bin gerade verunsichert, weil PowerPoint streikt. Deshalb gibt es jetzt eine kleine Programmänderung.“ Das Publikum wird es uns sicherlich nicht übelnehmen.

Auch Nörgeleien oder scharfe Kritik nutzen der Veranstaltungsleitung – auf den zweiten Blick. Wertschätzend auf den Kritisierenden einzugehen, ist zunächst eine große Herausforderung. Doch wer sich auf das Verbindende und die Stärken der Person konzentriert, die ihn vielleicht gerade aus dem Konzept bringt, reflektiert sich selbst und lernt von seinem Gegenüber. Mit der Reaktion „JA GENAU, UND...“ lassen sich Kritisierende ins Boot holen und Verbündete finden, mit einem „JA, ABER…“ eher nicht.

Keine Ausreden

Alles könnte besser laufen. Wir können ziemlich genau benennen, wie eine perfekte Veranstaltung aussehen würde. Der veraltete Computer und das fehlende Budget fallen uns schneller ein, als das Lob eines Teilnehmers oder die erfolgreiche Raumreservierung. Eine Regel aus dem Improvisationstheater lautet: „NIMM, WAS DA IST“. Was nützt es, sich über den zu kleinen Raum, fehlende Stühle oder die ausgefallene Klimaanlage zu ärgern? Statt negativ zu denken, ist es hilfreicher, loszulegen mit all den Ressourcen, die gerade zur Verfügung stehen. Chancen können dann schneller gesehen und genutzt werden. Ausreden, warum etwas nicht klappen kann, gibt es nicht mehr.

Wer improvisieren kann, ist souveräner

Wie auch im Improvisationstheater gab es für die Veranstaltung von Julia Spieß keine starren Vorgaben. Die Trainerin hat den Blick weg von unseren selbst produzierten, geplanten Inhalten auf die Interaktion mit den anderen gelenkt. Durch das gemeinsame Handeln entstanden veränderte, neue Inhalte. Dazu braucht es Präsenz, die Wertschätzung des Gegenübers und eine schnelle Reaktion auf das, was gerade passiert. Wer improvisieren kann, den kann Unvorhergesehenes nicht aus der Bahn werfen. Julia Spieß hat uns gut vermittelt, wie es gelingen kann, souverän und gelassen aufzutreten. Ein Drehbuch war dafür nicht nötig.

Ein weiteres spanndendes Seminar mit Julia Spieß finden Sie in unserer Rubrik BESUCHENSWERT