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Pressemeldung

Wege ändern sich, das Ziel bleibt. Zur Arbeit der Koordinationsstelle Kinderarmut unter Pandemiebedingungen

Da sind wir uns vermutlich alle einig: Die Corona-Pandemie hat sich seit ihrem Ausbruch im März 2020 massiv auf sämtliche Bereiche des täglichen Lebens und somit auch auf die Arbeit ausgewirkt. Was bedeutet das für eine Organisationseinheit, deren oberstes Ziel es ist, Kinder- und Jugendarmut und ihren Folgen frühzeitig entgegenzuwirken?

Von Natalie Deissler-Hesse, LVR Landesjugendamt

Für die Koordinationsstelle Kinderarmut hatten insbesondere die Kontaktbeschränkungen massive Folgen, da Präsenztermine und -fortbildungen zunächst kaum mehr möglich waren. Für das Team selbst bedeuteten sie ein Umdenken bei Bürobesetzung und Homeoffice sowie eine Umstellung auf einen nunmehr vorrangig digitalen Austausch.

Wo drückt der Schuh? Beratungen aus der Distanz

Eine ausführliche Begehung des neuen Familienbüros einer Kommune im Rheinland oder ein vertrauensvolles Gespräch in den eigenen Räumlichkeiten – all das war in Hochzeiten der Pandemie nicht möglich. Mit dem Wegfallen der Dienstreisen nahmen ortsunabhängige, virtuelle Beratungen und neue, digitale Arbeitssettings peu à peu Gestalt an. Zugleich stieg die Anzahl der Beratungen 2020 enorm. Seitens der Kommunen war der Beratungsbedarf stark von Fragen zur Pandemiebekämpfung geprägt: Wie können Präventionsangebote trotz eingeschränkter persönlicher Kontakte fortgesetzt werden? Welche alternativen Zugangswege zu den Adressat*innen gibt es? Wie kann man auf die Rechte von Kindern und Jugendlichen aufmerksam machen? Wie können wir virtuelle Beratungssettings organisieren?

Arbeitsverdichtung im Pandemiejahr: kinderstark, Kipe/ KisE, SEIB

Zu der etablierten Beratungsarbeit der Koordinationsstelle Kinderarmut einschließlich der Frühen Hilfen kamen im Pandemiejahr 2020 weitere, neue Beratungsfelder hinzu:

Die Umsetzung des neuen Landesprogramms „kinderstark – NRW schafft Chancen“, mit dem das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW (MKFFI) den Auf- und Ausbau von Präventionsketten flächendeckend fördert. Die Koordinationsstelle Kinderarmut stellte im Rahmen der Antragsberatung Kontakte zu rund 70 Jugendämtern im Rheinland her – das sind über zwei Drittel aller Kommunen mit eigenem Jugendamt. Alle in 2020 eingegangenen 30 Anträge konnten zeitnah bewilligt werden.

Zu den beantragten und umgesetzten Handlungsfeldern bei „kinderstark“ gehörten:

  • Ausbau kommunaler Koordinations- und Vernetzungsstrukturen (in allen 30 Kommunen).
  • Planung von insgesamt 28 Familiengrundschulzentren (acht Kommunen).
  • Einrichtung von Lotsendiensten in mindestens 12 Geburtskliniken und 14 Kinder- und Jugendarztpraxen und gynäkologischen Arztpraxen (neun bzw. sechs Kommunen).
  • Ausbau von mindestens 16 Familienbüros (11 Kommunen).
  • Entwicklung von aufsuchenden Angeboten an Regeleinrichtungen wie Kitas, Familienberatungsstellen oder Jugendeinrichtungen (11 Kommunen).

Eine weitere große Beratungsaufgabe war die konzeptionelle Entwicklung und Umsetzung des LVR-Förderprogramms „Unterstützung der Kommunen und Kreise im Rheinland beim Ausbau der Angebots- und Koordinationsstrukturen für Kinder und Jugendliche mit psychisch und/oder suchterkrankten Eltern“. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen stieß Kipe / KisE auf großes Interesse. Bis Ende 2020 stellten 28 Jugendämter und Gesundheitsämter einen Antrag.

Beantragte Maßnahmen waren u.a.:

  • Feste wöchentliche Gruppenangebote für Kinder und Jugendliche mit begleitender Elternarbeit.
  • Unterstützungsangebote für Eltern und ihre Kinder im Übergang von der Kita in die offene Ganztagsgrundschule.
  • Präventive Projekttage für Schüler*innen an offenen Ganztagsgrundschulen, flächendeckender Ausbau von ehrenamtlichen Patenmodellen.
  • Gruppenangeboten und Lotsendiensten im Kreisgebiet.
  • Sensibilisierung von Fachkräften aus den Bereichen Gesundheit und Kinder- und Jugendhilfe zu den Themenbereichen Sucht und/oder psychische Erkrankungen.
  • Interdisziplinäre Fortbildungen zur Qualifizierung handelnder Akteur*innen in Einrichtungen und Ämtern, Fachöffentlichkeitsarbeit und Aufklärung, zum Beispiel zum Thema "Depression".

Zusätzliche Beratungsarbeit fiel zudem im LVR-Projekt SEIB (Sozialräumliche Erprobung integrierter Beratung) an, im Rahmen dessen im Team der Koordinationsstelle Kinderarmut eine neue Fachberatung zum Thema „Kinderrechte“ eingerichtet wurde. Die Besonderheit: Neben dem Fokus auf externe Adressat*innen geht es bei dem Projekt auch darum, die LVR-interne Vernetzung der Dezernate auf- und auszubauen – keine Selbstverständlichkeit. Hier leistete die Fachberatung in den LVR-Dezernaten "Klinikverbund und Verbund heilpädagogische Hilfen", "Schulen“" und "Soziales" methodische Hilfestellung beim Thema Kinderrechte.

Und sie bewegt sich doch! Paradigmenwechsel bei Fortbildungen

Keine Namensschilder, kein Kaffee, kein spontanes Gespräch in der Pause. Die Fortbildungsroutinen der Koordinationsstelle Kinderarmut wurden pandemiebedingt auf links gedreht: Präsenzveranstaltungen waren nicht mehr möglich. Hinzu kam die Verunsicherung angesichts neuer Rahmenbedingungen, verbunden mit der unklaren Planungsperspektive: Was ist wann wieder möglich? Die technische Ausstattung (Seminarlizenzen und Tools) musste beschafft und neues Wissen über das Gestalten virtueller Fortbildungen und methodische Abläufe kurzfristig angeeignet werden. Zugleich stand ein großes Fragezeichen im Raum: Können der persönliche Kontakt und Gruppenübungen ins Digitale übersetzt werden? So beispielsweise bei „Hey und Ho“, einer Übung aus dem Improvisationstheater. Mit dieser oder anderen physischen Übungen arbeitet "Netzwerke gestalten", eine etablierte und beliebte Fortbildungsreihe der Koordinationsstelle Kinderarmut, um Reaktionsfähigkeit und Konzentration der Teilnehmenden im Gruppenkontext zu steigern. Mit Webcam und Mikrofon ausgestattet zeigte sich an den heimischen Bildschirmen: Ein gemeinsames Erleben trotz räumlicher Distanz findet statt. Fortbildungsinhalte wie Bewegungseinheiten oder Entspannungstechniken können auch digital vermittelt werden. Durch Bild, Ton und Chat ist ein umfassendes Feedback für die Moderierenden möglich, anders als im öffentlichen Raum. Es bleibt ein großes Aber: Es fehlen informelle Gespräche in den Pausen, spontane, zufällige Begegnungen und der persönliche Austausch. Auch diese Mosaiksteine gehören zu einer guten Kommunikationskultur.

Insgesamt hat der Bedarf an Austauschformaten durch die Einschränkungen der Pandemiebekämpfung bei vielen Fachkräften enorm zugenommen. Der 2020 herausgegebene Fortbildungskalender spiegelt das gewachsene, breite Portfolio an Fortbildungsangeboten und -formaten wider. Mit 19 LVR-Fortbildungen im Pandemiejahr 2020 (u.a. Netzwerktreffen, Werkstattgespräche, Qualifizierungskurse, Austauschtreffen, Informationsveranstaltungen) erreichte die Koordinationsstelle Kinderarmut 348 Teilnehmende. Ähnlich hoch waren Anzahl und Teilnehmende von Inhouse- und Kooperationsveranstaltungen.

Wissenstransfer und Öffentlichkeitsarbeit – Praxisreportage aus dem Homeoffice?

Wie nehmen die Kinder die neue Schulbegleitung wahr, glänzen ihre Augen? Um einen Fachartikel zu schreiben, ist keine Präsenz vor Ort nötig, um ihn vorzubereiten aber schon! Über erfolgreiche Projekte und Programme berichten, ohne deren Protagonist*innen zu treffen, ist unbefriedigend. Der Besuch einer Schule oder Kita bringen Farbe in den Bericht. Fehlen sie, ist umso mehr gutes Zuhören und das Nachhaken an den richtigen Stellen gefragt.

Im LVR-Fachmagazin Jugendhilfe-Report wurden im vergangenen Jahr 12 Fachartikel (Praxisreportagen, Interviews, Rezensionen) mit u.a. Akteur*innen aus Partnerkommunen veröffentlicht. Die Praxisreportagen stehen den Kommunen für ihre eigene Presse- und Fachöffentlichkeitsarbeit zur Verfügung und können genutzt werden, um die Präventionsarbeit gut darzustellen.

  • Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Koordinationsstelle Kinderarmut zudem vier Broschüren:
  • In der Reihe „Wissen, was wirkt – Monitoring kommunaler Präventionsketten“ sind „Unterstützung und Wirkungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit“ aufbereitet.
  • Die gemeinsam mit dem LWL-Landesjugendamt Westfalen herausgegebene Arbeitshilfe „Aufgaben der kommunalen Koordination: Handlungsrahmen der kommunalen Koordination von Präventionsketten und Präventionsnetzwerken“ richtet sich an Fach- und Leitungskräfte in den Kommunen.
  • In der Neuauflage des Qualitätshandbuchs der LVR-Koordinationsstelle Kinderarmut sind Grundlagen, Leitbild, Ziele, Instrumente aufbereitet. Damit machen wir unsere Arbeit transparent.
  • Das „Glossar zum Armutssensiblen Sprachgebrauch“ regt zu einem achtsamen Umgang mit Begrifflichkeiten an.

Wenig überraschend verlagerte sich die Aufmerksamkeit der Rezipient*innen eher auf digitale Formate wie die Website kinderarmut.lvr.de und den Newsletter Kinder- und Jugendarmut. Bei beiden Formaten konnte die Reichweite verbessert werden. Der Newsletter-Verteiler der Koordinationsstelle Kinderarmut umfasst aktuell 384 Abonnent*innen.

Ausblick: Nah dranbleiben durch Kontakt in unterschiedlichen Räumen

Die Pandemie und ihre Folgen haben bei der Koordinationsstelle Kinderarmut gewohnte Abläufe in Frage gestellt, aber auch nachhaltige Veränderungen in Gang gebracht. Erfahrungen mit virtuellen Settings haben das Beratungsportfolio erweitert. Hier ist inzwischen sowohl viel methodisches als auch technisches Know-how und Erfahrungswissen gewachsen. Ganz zentral bleiben in Zukunft aber auch persönliche Besuche vor Ort in den Kommunen und Einrichtungen. Dies gilt sowohl für die Beratungen als auch für den Bereich Wissenstransfer & (Fach-)Öffentlichkeitsarbeit. Und was das Team der Koordinationsstelle Kinderarmut betrifft: Das früher selbstverständliche Miteinander im Büro und den kollegialen Face-to-Face-Austausch wissen alle nun noch mehr zu schätzen.

Auch wenn ein Großteil der Fachveranstaltungen und Austauschtreffen vorerst online angeboten werden wird: In späterer Zukunft dürfte sich ein Mix aus digitalen und Präsenzberatungen und -veranstaltungen etablieren. Wünschenswert ist von Seiten der Koordinationsstelle Kinderarmut ein starker Fokus auf reelle Kontakte und Begegnungen – um Sie wieder persönlich zu treffen und gemeinsam mit Ihnen Ihre Alltagsfragen rund um das gelingende Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen beraten zu können.

Natalie Deissler-Hesse, LVR-Landesjugendamt