Verfassungswidrigkeit des vollständigen Ausschlusses der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 26. März 2019
Az.: 1 BvR 673/17
Die Beschwerdeführerin ist die leibliche Mutter der anzunehmenden, zum Zeitpunkt der Verfassungsbeschwerde minderjährigen, Kinder, ihrerseits ebenfalls Beschwerdeführer. Der mit der Mutter verheiratete leibliche Vater der Kinder verstarb im Jahr 2006. Seit 2007 leben die Mutter und ihr Lebensgefährte, ebenfalls Beschwerdeführer, in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Sie sind nicht miteinander verheiratet, weil die Mutter eine Witwenrente bezieht, die ein wesentlicher Teil ihrer Existenzgrundlage sei und die sie durch die Wiederverheiratung verlöre. Die beiden haben einen gemeinsamen Sohn.
Die Mutter und ihr Lebensgefährte beantragten den Ausspruch der Annahme der beiden Kinder der Mutter als gemeinschaftliche Kinder. Diesen Antrag wies das zuständige Amtsgericht mit der Begründung zurück, eine unverheiratete Person könne ein Kind nur alleine annehmen. Eine Adoption, nach der die Anzunehmenden die Stellung gemeinschaftlicher Kinder erlangten, sei nach derzeitiger Gesetzeslage nicht möglich. Dies sei auch nicht verfassungswidrig, da sichergestellt sein solle, dass das Kind durch die Adoption in stabile Verhältnisse mit dauerhaften Bezugspersonen gelange.
Die Beschwerde zum Oberlandesgericht und die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof blieben erfolglos.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht hatte Erfolg.
Der vollständige Ausschluss der Stiefkindadoption allein in nichtehelichen Familien verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Es sei mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot nicht vereinbar, dass der Stiefelternteil in nichtehelichen Stiefkindfamilien die Kinder des anderen Elternteils nicht adoptieren kann, ohne dass die Verwandtschaft der Kinder zu diesem erlischt, wohingegen in einer ehelichen Familie ein solches Kind gemeinschaftliches Kind beider Eltern werden kann. Gegen die Stiefkindadoption vorgebrachten allgemeinen Bedenken könnten die Benachteiligung von Kindern in nichtehelichen Familien nicht rechtfertigen und der Schutz des Stiefkindes vor einer nachteiligen Adoption lasse sich auf andere Weise als durch vollständigen Adoptionsausschluss hinreichend wirksam sichern.
Der vom Gesetzgeber mit dem Ausschluss der Stiefkindadoption verfolgte Zweck, zu verhindern, dass ein Kind unter ungünstigen familiären Bedingungen aufwachsen muss, sei zwar legitim. Dieses Ziel könne in der konkreten Situation des Stiefkindes durch den Adoptionsausschluss jedoch schon deshalb nicht erreicht werden, weil das Kind in aller Regel bereits mit dem Eltern- und dem Stiefelternteil in einer konkreten Familie lebe. Sofern der rechtliche Elternteil des Kindes mit dem Stiefelternteil nicht verheiratet sei, stehe dem Kind die eheliche Familie schlicht nicht zur Verfügung.
Die vom Gesetzgeber mit der Beschränkung der Adoption auf verheiratete Paare verbundene Erwartung, ein adoptiertes Kind wachse in einer ehelichen Familie unter günstigeren familiären Bedingungen auf als in einer nichtehelichen Familie, lasse sich so nicht rechtfertigen. Eine Stiefkindadoption nur zuzulassen, wenn die Beziehung zwischen Elternteil und Stiefeltern längeren Bestand verspricht, sei ein legitimes gesetzliches Ziel, es könne jedoch nicht ausschließlich auf die Ehelichkeit der Beziehung abgestellt werden.
Das Bundesverfassungsgericht regt an, dass der Gesetzgeber eine Regelung treffen könne, nach der die zu erwartende Stabilität nichtehelicher Paarbeziehungen im Einzelfall geprüft werden müsse, insbesondere könnte eine konkret bezifferte Mindestdauer der Beziehung oder des Zusammenlebens mit der anderen Person, dem Kind oder beiden verlangt werden.
Die §§ 1754 Abs. 1 und 2 sowie § 1755 Abs.1 S. 1 BGB werden für verfassungswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet den Gesetzgeber, bis zum 31. März 2020 eine entsprechende Neuregelung zu schaffen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung ist das geltende Recht auf nichteheliche Stiefkindfamilien nicht anwendbar und Verfahren insoweit bis zu dieser Neuregelung auszusetzen.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
Jugendamt darf über Verurteilung wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften informieren
Verwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 5. April 2019
Az.: 6 L 211/19
Der Antragssteller wurde im April 2011 vom Amtsgericht Beckum wegen der Verbreitung kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten zur Bewährung verurteilt. Der Antragssteller betreut heute die aus Syrien stammende G, Mutter von 4 minderjährigen Kindern, in einem gerichtlichen Verfahren gegen ihren Ehemann, bei Behördengängen und in allen möglichen Lebensbereichen. Die Antragsgegnerin wurde vom Amtsgericht Beckum über diese Umstände in Kenntnis gesetzt und möchte die G über die strafrechtliche Vergangenheit des Antragstellers informieren.
Die Anträge auf Unterlassen der Übermittlung der Daten wurden vom Verwaltungsgericht Münster abgelehnt.
Zur Begründung führt das Gericht aus, dass die amtlichen Äußerungen der Antragsgegnerin zwar in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers eingriffen, dieser Eingriff aber durch die Wahrnehmung der Aufgabe des staatlichen Wächteramts gerechtfertigt sei. Die Übermittlung der Daten erfolge in Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe des Jugendamts gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, §§ 1 Abs. 3 Nr. 3, 8a SGB VIII. Im Rahmen der Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII genüge es, wenn gewichtige Anhaltspunkte vorlägen. Einer festgestellten konkreten Gefahr bedürfe es hier nicht.
Der persönliche Umgangskontakt des Antragstellers zu den 4 minderjährigen Kindern im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verurteilung des Antragstellers sind nach Ansicht des Gerichts ausreichend gewichtige Anhaltspunkt für die Annahme einer Gefährdung des Wohls der Kinder. Das Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit überwiege dabei das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers.
Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster
Heranziehung aus dem von einem Vollwaisen bezogenen Kindergeld nach § 92 Abs. 2 i.V.m. § 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII
Verwaltungsgericht München, Urteil vom 16.01.2019
Az.: M 18 K 17.3303
Aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung stellte der Vater der Klägerin im April 2015 einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung in Form von Heimunterbringung für die Klägerin. Die Mutter der Klägerin war verstorben.
Mit Bescheid vom 11. Juni 2015 wurde dem Vater der Klägerin Jugendhilfe ab dem 2. Juni 2015 bis zum 3. April 2018 in Form von Heimunterbringung gewährt. Gleichzeitig forderte die Beklagte von dem Vater der Klägerin einen Kostenbeitrag bis auf weiteres in Höhe des Kindergeldes. Per Abzweigungsantrag zahlte die Familienkasse diesen unmittelbar an die Beklagte aus.
Der Vater der Klägerin verstarb am 25. September 2015. Zum Vormund der Klägerin wurde das Jugendamt der Beklagten bestellt.
Die Vormündin wendete sich im März 2016 an die wirtschaftliche Jugendhilfe der Beklagten mit der Forderung, das Kindergeld der Klägerin, die als Vollwaise einen eigenen Kindergeldanspruch nach § 1 Abs. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) habe, an diese auszuzahlen. Eine Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin selbst in Höhe des Kindergeldes nach §§ 92 ff SGB VIII gebe es nicht.
Die Beklagte wies dies im April 2016 mit dem Argument zurück, dass das Kindergeld von der Klägerin auf Grundlage des § 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII als zweckidentische Leistung eingefordert werden könne und erließ im Oktober 2016 einen Bescheid, der die Klägerin nach § 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII zur Leistung eines Kostenbeitrages in Höhe des Kindergeldes vom 25. September 2015 bis auf weiteres verpflichtete.
Hiergegen legte die Vormündin der Klägerin am 11. Oktober 2016 Widerspruch ein. Eine Heranziehung eines kindergeldberechtigten Kindes aus dem Kindergeld als zweckgleiche Leistung im Sinne des § 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII scheide aus. Minderjährige seien gemäß § 92 Abs. 1 SGB VIII i.V.m. §§ 93, 94 SGB VIII aus ihrem Einkommen an den Kosten zu beteiligen, das Kindergeld zähle nach § 93 Abs. 1 S. 4 SGB VIII ausdrücklich nicht dazu. Das Kindergeld sei keine zweckgleiche Leistung im Sinne des § 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII, weil es der Förderung des Familien- und Leistungsausgleichs und nicht direkt dem Lebensunterhalt des Kindes diene.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen, dagegen erhob die Vormündin am 19. Juli 2017 Klage beim Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht München hat die zulässige Klage abgewiesen.
Die Klägerin könne aus dem von ihr als Vollwaise bezogenen Kindergeld nach § 1 Abs. 2 S.1 Nr.2 Alt 1 BKGG von der Beklagten nach § 92 Abs. 2 i.V.m. 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII herangezogen werden, da Kindergeld nach § 1 Abs.2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 BKGG dem gleichen Zweck diene wie die der Klägerin geleistete Jugendhilfe.
Der Zweck dieses sozialrechtlichen Kindergeldes beschränke sich bei Vollwaisen ausschließlich auf die Unterhaltssicherung, die hier bereits durch die von der Beklagten gewährleistete Heimunterbringung geleistet werde. Dies unterscheide es auch von dem steuerrechtlichen Kindergeld, welches dem allgemeinen Zweck des Familienlastenausgleichs diene. Der Kindergeldbegriff in § 93 Abs.1 S.4 SGB VIII umfasse nicht auch das Kindergeld für Vollwaisen nach § 1 Abs. 2 BKGG.
Urteil des Verwaltungsgerichts München
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