Kostenerstattung für privatärztliche Behandlungskosten von unbegleitet eingereisten Minderjährigen
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Dezember 2018
Az. 7 A 10609/18
Die Beteiligten stritten über die Erstattung von Kosten der Krankenhilfe für einen unbegleitet eingereisten Jugendlichen. Die Kosten wurden nach der Gebührenordnung für Ärzte abgerechnet.
Der Beklagte lehnte die Übernahme dieser Arzt- und Laborkosten ab, da niedergelassene Ärzte nach kassenärztlichen Regeln abrechnen müssten. Eine Abrechnung nach der Gebührenordnung für Ärzte auch bei Reduzierung auf den einfachen Satz sei unzulässig.
Am 14. Dezember 2016 hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Mainz erhoben.
Die Behandlungskapazitäten des zunächst angestellten Arztes seien erschöpft gewesen, sodass drei weitere Ärzte in Anspruch genommen wurden. Der Umgang mit der spezifischen Klientel setze Erfahrungen mit bestimmten Krankheitsbildern und Verhaltensweisen voraus. Nur ein spezialisierter Arzt sei in der Lage, darauf angemessen zu reagieren.
Weiterhin führte die Klägerin aus, die Betroffenen erhielten von der Krankenkasse erst nach vier Wochen eine Versichertenkarte und die Ärzte könnten die Vorlage der Versicherungskarte verlangen. Bis dahin könnten Untersuchungen wegen des Infektionsrisikos nicht zurückgestellt werden.
Der Beklagte entgegnete, die Ärzte hätten darauf hingewiesen werden müssen, dass sie nach kassenärztlichen Maßstäben abzurechnen hätten.
Das Verwaltungsgericht Mainz hat mit Urteil vom 22. Februar 2018 den Beklagten verurteilt, die Kosten zu erstatten, Az. 1 K 862/17.MZ. Der Beklagte hat daraufhin Berufung eingelegt.
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass die Berufung begründet ist.
Der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch verstoße gegen den kostenerstattungsrechtlichen Interessenwahrungsgrundsatz.
Die Klägerin hätte die Kosten selbst nicht übernehmen dürfen und habe nicht alles ihr Zumutbare getan, um sicherzustellen, dass nur gesetzlich vorgesehene Kosten entstehen.
Das Oberverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass die Vergütung den gesetzlichen Bestimmungen widerspreche. Die sozialrechtliche Krankenhilfe sei eng an die gesetzliche Krankenversicherung angebunden. Damit verfolge der Gesetzgeber die Absicht, Hilfeempfänger mit gesetzlich Krankenversicherten gleichzustellen.
Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts widerspreche die privatärztliche Behandlung des Jugendlichen sowohl § 52 SGB XII wie auch § 264 SGB V. Beide Vorschriften sollen gewährleisten, dass Hilfen zur Gesundheit auch für in Obhut genommene Minderjährige nur im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden.
Die Aufgabenübertragung auf einen privaten Hilfeträger berechtigte nicht dazu, Behandlungen und Untersuchungen auf privatärztlicher Basis durchzuführen und abzurechnen.
Das Oberverwaltungsgericht ist weiterhin der Meinung, dass die allgemeine Situation der unbegleitet eingereisten minderjährigen Ausländer nicht die Auflösung der Verschränkung zwischen Krankenhilfe und gesetzlichen Krankenkassen rechtfertige. Dies entbinde die Klägerin nicht von ihrer Pflicht, die Ärzte anzuhalten, entsprechend den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung abzurechnen. Zudem hätte die Klägerin den Ärzten zusichern können, für die Behandlungskosten einzustehen.
Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
Erstattungsanspruch des Jugendhilfeträgers gegen den Träger von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz; Einsatz von angespartem Vermögen auf Grund von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz
Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 13. Februar 2018
Az. 10 A 312/17
Der Kläger begehrt als Träger der öffentlichen Jugendhilfe von dem Beklagten als Träger der Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) die Erstattung von Aufwendungen für Jugendhilfeleistungen in Form von Hilfe zur Erziehung für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2011 zugunsten des 1996 geborenen, also minderjährigen, Leistungsempfängers.
Die leibliche Mutter des Leistungsempfängers wurde vom leiblichen Vater des Leistungsempfängers am 2. August 2006 getötet, welcher hierfür am 20. April 2007 zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.
In der Zeit vom 1. September 2006 bis 31. Januar 2014 gewährte der Kläger dem Leistungsempfänger Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung nach §§ 27, 34 SGB VIII. Der Leistungsempfänger verfügte in dem eingeklagten Zeitraum über ein Sparguthaben, welches sich auf etwa 15.500 Euro belief.
Im Oktober 2006 beantragte der Kläger gegenüber dem Beklagten die Gewährung von Erziehungsbeihilfe gemäß § 27 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und machte gegenüber dem Beklagten als vorrangig verpflichtetem Leistungsträger einen Erstattungsanspruch geltend. Im November 2009 bewilligte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales zugunsten des Leistungsempfängers eine Beschädigtenversorgung nach dem OEG i.V.m. dem BVG. Der Beklagte erkannte im August 2011 gegenüber dem Kläger grundsätzlich seine Zuständigkeit zur Übernahme des geltend gemachten Bedarfs an und gab dem Erstattungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 25. August 2006 bis zum 6. August 2014, der Vollendung des 18. Lebensjahres des Leistungsempfängers, statt, vorbehaltlich des Ergebnisses einer derzeit noch nicht abgeschlossenen Einkommens- und Vermögensüberprüfung.
Für den Zeitraum vom 25. August 2006 bis 30. Juni 2011 erstattete der Beklagte dem Kläger sodann die geltend gemachten Kosten, lehnte aber für den Zeitraum ab 01. Juli 2011 die Kostenerstattung ab, da aufgrund einer Änderung im BVG zum 01. Juli 2011 Ansparungen aus Leistungen nach dem BVG zum Vermögen zählten und einzusetzen seien und gleichzeitig der Vermögenschonbetrag überschritten sei.
Am 30. Dezember 2015 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Kassel Klage erhoben, welches die Klage mit Urteil vom 29. November 2016 abgewiesen hat.
Gegen das Urteil hat der Kläger 17. Januar 2017 Berufung eingelegt.
Die Berufung des Klägers wird als unbegründet zurückgewiesen. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Erstattungsanspruch für den eingeklagten Zeitraum nicht zu.
Der Kläger hat die dem Leistungsempfänger geleisteten Jugendhilfeleistungen (§§ 27, 34 SGB VIII) als nachrangig verpflichteter Leistungsträger im Sinne des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X erbracht. Gemäß § 10 Abs. 1 SGB VIII sind Leistungen der Jugendhilfe gegenüber Leistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG nachrangig. Es bestand auch eine Leistungskongruenz zwischen beiden Ansprüchen.
Der Verwaltungsgerichtshof stellt fest, dass der Beklagte im eingeklagten Zeitraum jedoch selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen sei, da der Einsatz von Vermögen aus angesparter Grundrente nach dem OEG i.V.m. dem BVG im Rahmen der Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 1 Abs. 1 S. 1 OEG i.V.m. § 27d Abs. 1 Nr. 3 BVG gefordert werden könne. Ziel der fürsorgerischen Leistungen der Kriegsopferfürsorge sei nicht, einen Vermögensaufbau über die in der Kriegsopferfürsorge geltenden großzügigen Vermögenschonbeträge hinaus zu ermöglichen. Demzufolge seien den zu erbringenden Leistungen des vorrangig verpflichteten Beklagten für jeden einzelnen Monat des Erstattungszeitraums bei der Ermittlung des Umfangs der Leistungspflicht angespartes Vermögen gegenüber zu stellen.
Das Gericht führt aus, dass der Ausfall des Erstattungsanspruchs des Klägers seine Rechtfertigung in der grundsätzlichen Verschiedenheit der jeweiligen Leistungssysteme finde, welche unterschiedliche Regelungen zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen hätten. In der Jugendhilfe stehe der pädagogische Bedarf im Vordergrund, welcher einkommens- und vermögensunabhängig sei. Die Kriegsopferfürsorge sei hingegen ein einkommens- und vermögensabhängiges Fürsorgesystem. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richte sich gemäß § 104 Abs. 3 SGB X aber nach den Vorschriften, die für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger gelten würden.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der VGH die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
Kindeswohl verdrängt Fristen des Dublin-Verfahrens
VG Münster, Beschluss vom 20. Dezember 2018
Az. 2 L 989/18.A
Die beiden Antragsteller mit syrischer Staatsangehörigkeit sind Geschwister. Der Antragsteller zu 1, Jahrgang 2004, reiste mit seinem volljährigen Cousin in Griechenland ein. Der Cousin wurde zum Vormund bestellt. Der Antragsteller zu 2 reiste mit seiner Familie in Deutschland ein und erhielt subsidiären Schutz, er lebt in Münster.
Im November 2016 beantragte der Antragsteller zu 1, vertreten durch seinen Cousin, die Familienzusammenführung mit seinem in Deutschland lebenden Bruder, Antragsteller zu 2.
Im Februar 2017 bat die zuständige griechische Behörde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) um Übernahme des Antragstellers zu 1 nach Art. 8 Dublin III-Verordnung, da der Antragsteller zu 1 ein unbegleiteter Minderjähriger sei und der Antragsteller zu 2 der einzige in Europa lebende Familienangehörige sei.
Im März 2017 lehnte das BAMF den Antrag ab. Der Antragsteller zu 1 sei in Begleitung seines erwachsenen Cousins und daher nicht unbegleitet im Sinne von Art. 8 Dublin III-Verordnung. Im April 2017 widersprach die griechische Behörde der Ansicht des BAMF und bat erneut um Übernahme. Das BAMF teilte mit, bei seiner ablehnenden Haltung zu bleiben und das Übernahmegesuch erst mit Vorlage weiterer Unterlagen zu prüfen. In der Folgezeit legte die griechische Behörde verschiedene Dokumente vor, zuletzt am 1. Juni 2018. Am 5. Juli 2018 wies das BAMF das Gesuch endgültig zurück, da es sich bereits um die dritte Anfrage handele. Die Dublin III-Verordnung sehe jedoch nur eine Überprüfung vor, die innerhalb von 3 Wochen nach Ablehnung des Aufnahmegesuchs gestellt werden müsse. Diese Frist sei abgelaufen.
Im September 2018 haben die Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht Münster einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, darin begehren sie die Aufnahme des Übernahmegesuchs durch das BAMF.
Das Verwaltungsgericht Münster hat entschieden, dass der Antrag zulässig und begründet sei. Die Voraussetzungen des Art. 8 Dublin III-Verordnung lägen vor und seien auch nicht durch Fristablauf erloschen.
Der Antragsteller zu 1 sei ein unbegleiteter Minderjähriger im Sinne von Art. 8 Dublin III-Verordnung. Der Cousin sei nicht verantwortlicher Erwachsener im Sinne von Art. 2 Buchst. j Dublin III-Verordnung. Darüber hinaus entspreche die Zuständigkeit des BAMF auch dem Kindeswohl. Die Fristversäumung liege in der fehlerhaften Rechtsanwendung der griechischen Behörden und könne nicht zu Lasten des Antragsstellers zu 1 gehen. Die Fristen der Dublin III-Verordnung dienten der Straffung und Beschleunigung des Verfahrens und seien somit auch im Interesse der Asylbewerber. Führe die Frist wie im vorliegenden Fall zu einem Ausschluss der Familienzusammenführung liege dies gerade nicht im Interesse der Antragsteller; vielmehr würden ihre Rechte dadurch konterkariert. Folglich müsse eine Pflicht des ersuchten Mitgliedstaates zur Übernahme des Aufnahmegesuchs auch nach Ablauf der Frist bestehen, um dem besonders hohen Schutzgut des Kindeswohls gerecht zu werden.
Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster
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