Anspruch auf Zahlung der Kosten für Kindetagesförderung über Pflegegeldpauschalen hinaus
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Oktober 2022
Az. 5 C 4.21
Der Kläger, Jugendamt der Stadt E, war bis Februar 2020 Amtsvormund für ein im Januar 2013 geborenes Kind. Der in der beklagten Stadt A lebenden Mutter war kurz nach der Geburt die elterliche Sorge entzogen wurde. Im März 2013 kam das Kind in Vollzeitpflege in der Sonderpädagogischen Pflegestelle einer Diakonie der Stadt E. Diese schloss mit der Beklagten im März 2013 einen Vertrag ab, in welchem sie sich zur Betreuung des Kindes und die Beklagte sich zur Zahlung von Pflegegeld nach § 39 SGB VIII verpflichtete. Nachdem der Kläger als Vormund eingesetzt worden war, bewilligte ihm die Beklagte in einem Bescheid die Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege.
Ab August 2015 besuchte das Kind eine Kindertagesstätte in der Stadt E. Die Beiträge für die Kindertagesbetreuung übernahmen zunächst die Pflegeeltern. Die Beklagte leistete weiterhin Hilfe zur Erziehung, lehnte den Antrag der Diakonie auf Übernahme der Beiträge für die Betreuung jedoch ab, woraufhin E Klage erhob. Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts, das den Anspruch bejahte, legte die Beklagte erfolglos Revision ein.
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts folgt ein Anspruch der Stadt E gegen die Beklagte auf Zahlung der Kosten für die Kindestagesförderung über die gewährte Unterhaltspauschale hinaus aus § 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII in Verbindung mit den §§ 27, 33 S. 2 und § 39 Abs. 1, 2 S. 1 SGB VIII sowie dem Bewilligungsbescheid der Beklagten vom Dezember 2014.
§ 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII regelt, dass im Fall des Wechsels der örtlichen Zuständigkeit für eine Leistung der bisher zuständige örtliche Träger noch zur Gewährung der Leistung verpflichtet ist, bis der neu zuständige Träger diese fortsetzt. Die Voraussetzungen dieser Norm seien hier erfüllt. Zudem sei die Beklagte sowohl aus dem Vertrag mit der Diakonie als auch nach den gesetzlichen Regelungen selbst dazu verpflichtet gewesen, die Unterhaltsleistungen für das Pflegekind zu gewährleisten, die den Personensorgeberechtigten gegebenenfalls noch nach den §§ 27, 33 i. V. m. § 39 SGB VIII zustehen.
Dem Anspruch stehe auch nicht entgegen, dass § 39 Abs. 4 S. 3 SGB VIII in der Regel Pauschalbeträge vorsieht. Die Kosten der Kindertagesbetreuung gehören als Sachaufwand zum notwendigen Unterhalt des Kindes nach § 39 Abs. 1 SGB VIII. Entgegen der Ansicht der Beklagten könne der gesetzlichen Regelung nicht entnommen werden, dass der Pauschalbetrag stets als abschließende und umfassende Deckung des Regelbedarfs anzusehen sei. Ziel der Vorschrift sei, dass die am tatsächlichen Lebensbedarf orientierte Hilfe im Regelfall zu pauschalieren ist, nicht aber notwendig alle Kostenpositionen von der Pauschalierung erfasst sein müssen. Das Absehen von der Pauschalierung könne etwa dann gerechtfertigt sein, wenn bestimmte Teile des Bedarfs dem Grunde oder der Höhe nach nicht typisierbar sind. Der Besuch der Tageseinrichtung entzieht sich einer typisierenden Betrachtung, weil sich die von den Pflegeeltern zu leistenden Beiträge zwischen den Kommunen erheblich unterscheiden.
Somit habe die Beklagte zwar stets die Pauschalleistungen für den Unterhalt des Kindes erbracht, den Anspruch des Klägers hätte sie nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes jedoch nur erfüllt, wenn es sich um Positionen handelt, die einer realitätsnahen Pauschalierung zugänglich sind und bei der Bemessung der Pauschalsätze berücksichtigt worden sind. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Die Beiträge für die Kindertagesbetreuung seien bei der Bemessung der Pauschalsätze nicht berücksichtigt worden, sodass weiterhin ein Anspruch des Klägers auf Zahlung bestehe.
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft zum Umgangsbestimmungsrecht anstelle einer Umgangspflegschaft
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 31. Januar 2023
Az. 13 UF 175/22
Der Beschwerdeführer war mit der Kindesmutter gemeinsam sorgeberechtigt. Das gemeinsame Kind stammt aus einer nichtehelichen Beziehung, die nach hangreiflichen Streitigkeiten endgültig endete. Seither lebte das das Kind bei der Mutter. In einem einstweiligen Anordnungsverfahren wurde das Umgangsrecht des Kindesvaters auf 2 Stunden am 2. Wochenende im Monat freitags, samstags und sonntags im Haushalt der Großeltern mütterlicherseits festgelegt. Nachdem es während des Umgangskontakts zu heftigen Streitigkeiten kam, wurde eine Umgangspflegschaft zur Durchführung der Umgangskontakte angeordnet. Daraufhin beantragte die Kindesmutter mit Verweis auf eine Suchtproblematik des Kindesvaters den Ausschluss des Umgangs. Das Amtsgericht bestellte daraufhin eine neue Umgangspflegerin, die zeitweise einen positiv verlaufenden Umgangskontakt zwischen Vater und Kind wahrnahm. Dies sei jedoch kein nachhaltiger Zustand gewesen und oftmals seien Treffen frühzeitig beendet worden, weil das Kind den Kontakt zum Vater abgelehnt hatte.
Sodann erließ das Amtsgericht einen Beschluss, der den Umgang des Kindesvaters mit dem Kind unter Aufhebung aller bestehenden Umgangsregelungen für die Dauer von 6 Monaten ausschloss. Die Entscheidung beruhe auf Kindeswohlüberlegungen nach § 1684 Abs. 4 BGB. Der Kindesvater legte dagegen Beschwerde ein und beantragte stattdessen den durch eine Ergänzungspflegschaft begleiteten Umgang. Die Kindesmutter sei dafür verantwortlich, dass bisher keine tragfähige Umgangsregelung gefunden wurde. Eine Aussetzung der Kontakte würde dem Kindeswohl nur weiter schaden.
Das Oberlandesgericht Hamm hielt die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft zur Regelung der Umgangskontakte zwischen dem Kind und seinem Vater für erfüllt. Das Wohlergehen des Kindes sei infolge des Elternkonflikts konkret gefährdet und eine Kindeswohlgefährdung nicht anders abwendbar. Anders als von der Kindesmutter angenommen, könne das Kind durch den fehlenden Kontakt zum Vater in seiner weiteren emotional-seelischen und sozialen Entwicklung erheblich gefährdet werden. Anzeichen dafür hätten sich bereits gezeigt.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts kann der Gefahr für das Kindeswohl weder durch den befristeten Ausschluss von Umgangskontakten noch durch die Durchsetzung persönlicher Kontakte zwischen dem betroffenen Kind und seinem Vater hinreichend begegnet werden. Aufgrund des vom Kind selbst geäußerten Interesses am postalischen Kontakt zum Vater solle dieser erhalten bleiben. Um einen unbefangenen Kontakt sicherzustellen, sei zunächst eine Ergänzungspflegschaft mit dem Aufgabenkreis der Bestimmung des Umgangs des Kindes mit seinem Vater anzuordnen.
Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm
Hilfegewährung nach §§ 41, 27 SGB VIII
Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 10. Februar 2023
Az. 3 K 2140/20
Aufgrund einer verzögerten Verselbständigung infolge einer bestehenden seelischen Behinderung gewährte die Beklagte dem Kläger Hilfe für junge Volljährige in Form von Vollzeitpflege gemäß § 41 in Verbindung mit § 33 SGB VIII über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus. Nach dem psychiatrischen Gutachten war davon auszugehen, dass der Hilfebedarf mit hoher Wahrscheinlichkeit über das 21. Lebensjahr, jedoch nicht über das 27. Lebensjahr hinaus erforderlich sein würde und bis dahin weitestgehend eine Verselbständigung zu erreichen war.
Nachdem der Kläger seinen Realschulabschluss erworben hatte, wurde die Hilfe anschließend noch mehrfach weiterbewilligt, mit dem Ziel, seine Persönlichkeit und Selbstständigkeit weiter zu fördern und seine Berufsprobleme zu lösen.
Als bei der Umsetzung der angestrebten Ziele im weiteren Verlauf keine Fortschritte mehr erkennbar waren sowie auch ärztliche Begutachtungstermine und Terminvorschläge für Hilfeplangespräche von dem Kläger nicht mehr ergriffen wurden, beendete die Beklagte die Bewilligung der Vollzeitpflege.
Da der Widerspruch gegen die Beendigung der Hilfe als unbegründet zurückgewiesen wurde, erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Bremen und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für die selbstbeschaffte Hilfe für junge Volljährige in Form einer Vollzeitpflege zu erstatten.
Die Klage ist unbegründet. Der auf die Zukunft gerichtete Anspruch auf Gewährung von Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 Abs. 1 SGB VIII scheide aus, da der Kläger bereits sein 27. Lebensjahr vollendet habe und er daher nicht mehr zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis zähle.
Auch für die Zeit bis zum Erreichen des 27. Lebensjahres scheitere ein Anspruch auf Aufwendungsübernahme daran, dass die Voraussetzungen für eine Hilfegewährung nach § 41 Abs. 1 SGB VIII nicht vorgelegen hätten.
Bei dem Kläger könne nicht davon ausgegangen werden, dass die persönliche Entwicklung und Verselbständigung durch die Vollzeitpflege mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit noch erkennbar hätte vorangebracht werden können. Es seien nach dem Realschulabschluss keine beruflichen Fortschritte gemacht worden, so dass eine Eingliederung in die Arbeitswelt nicht erreicht worden sei. Auch im sozialen Bereich seien kaum Fortschritte erzielt worden.
Zudem sei für die Zielerreichung die Motivation des jungen Volljährigen zur Mitwirkung unerlässlich. Aufgrund der fehlenden Mitwirkung des Klägers sei es der Beklagten nicht möglich gewesen, die erforderlichen Gutachten einzuholen und Hilfeplangespräche zu führen, die zur Bestimmung der notwendigen und geeigneten Hilfeleistungen erforderlich gewesen wären.
Keine Eignung als Pflegeperson bei Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs
Verwaltungsgericht Cottbus, Urteil vom 13. Dezember 2022
Az. 8 K 1120/19
Die Klägerin und der Kläger begehren die Weiterführung der von dem Beklagten beendeten Hilfe zur Erziehung für ihr Pflegekind. Ihnen war im August 2017 die elterliche Sorge gemäß § 1630 Abs. 3 SGB VIII übertragen worden, nachdem der Pflegekinderdienst die Eignung der Klagenden festgestellt hatte. Daraufhin bewilligte der Beklagte Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege. Die Beteiligten schlossen zudem einen Pflegevertrag.
Im April 2019 informierten die Klagenden darüber, dass gegen den Kläger seit Oktober 2016 ein Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs anhängig sei. Daraufhin setzte der Pflegekinderdienst den Beklagten in Kenntnis, dass keine Eignung der Klagenden als Pflegepersonen mehr gesehen würde. Die daraufhin eingeleitete Kinderschutzprüfung ergab, dass die Eignung als Pflegepersonen gemäß § 33 SGB VIII entzogen und die Hilfe zur Erziehung beendet wurde. Ein Antrag auf Erörterung einer Kindeswohlgefährdung/einstweilige Anordnung gemäß § 157 FamFG wurde gestellt.
Die Beklagte teilte den Klagenden mit, dass die Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege mit sofortiger Wirkung beendet werde und forderte überzahltes Pflegegeld zurück. Am 12. Mai 2019 verwarf das OLG Dresden die Revision des Klägers und die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten auf Bewährung wurde rechtskräftig.
Die Klagenden wenden sich in ihrer Klage gegen die Beendigung der Hilfe zur Erziehung.
Das Verwaltungsgericht Cottbus hat die Klage abgewiesen. Zwar benötigten die Klagenden keine Pflegeerlaubnis im Sinne von § 44 Abs. 1 S. 1 SGB VIII, die Ihnen folglich auch nicht entzogen werden konnte. Dennoch sei die Eignung der Pflegepersonen anhand der Vorgaben des § 44 Abs. 2 SGB VIII und somit insbesondere daran zu messen, ob das Kindeswohl in der Pflegestelle gewährleistet sei. Dies sei hier mit der Verurteilung des Klägers nicht der Fall. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin als weitere Pflegeperson nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Ein Mangel der Eignung einer Pflegeperson sei auch dann gegeben, wenn die für die Entwicklung eines Kindes schädlichen Risiken oder Gefährdungen zwar nicht unmittelbar in der Person der Pflegeperson liegen, aber letztlich ihrer Sphäre zuzurechnen seien.
Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus
|