Aussetzung einer sorgerechtlichen Entscheidung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. März 2022
Az. 1 BvR 65/22
Die Beschwerdeführerin ist Verfahrensbeiständin eines minderjährigen Kindes, dessen nicht miteinander verheiratete Eltern aufgrund langjähriger Betäubungsmittelkonsumation und psychiatrischer Behandlungen der Mutter mit der Erziehung überfordert waren. Das Kind wurde in Obhut genommen und in eine Bereitschaftspflegefamilie gegeben. Nachdem das Jugendamt ein Kindeswohlgefährdungsverfahren angeregt hatte, wurde den Eltern im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens vorläufig die elterliche Sorge in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmung, Regelung ärztlicher Versorgung und Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen entzogen.
Auf die Beschwerde der Eltern bestätigte das Oberlandesgericht die familiengerichtliche Entscheidung.
Im Hauptsacheverfahren bestätigte ein auf die Erziehungsfähigkeit bezogenes Gutachten, dass ein Wechsel des Kindes in den Haushalt der Eltern eine Kindeswohlgefährdung darstelle. Im Hauptsacheverfahren entzog das Familiengericht sodann den Eltern wegen Kindeswohlgefährdung das Recht zur Aufenthaltsbestimmung gemäß § 1666 BGB.
Hiergegen legten die Eltern getrennt voneinander Beschwerde ein. Zwischenzeitlich war der Vater drogenfrei und psychisch stabiler.
Das Oberlandesgericht änderte die amtsgerichtliche Entscheidung ab und übertrug das alleinige Recht zur Aufenthaltsbestimmung und zur Regelung der ärztlichen Versorgung sowie der schulischen Angelegenheiten auf den Vater.
Mit der Verfassungsbeschwerde richtet sich die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss und rügt die Verletzung der Grundrechte des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 S. 2 sowie in Verbindung mit Art 20 Abs. 3 GG.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
Das Gericht führt aus, eine Folgenabwägung ergebe, dass die Nachteile, die im Falle des Erlasses der einstweiligen Anordnung drohen, weniger schwer wiegen als die durch mehrfache Ortswechsel drohende erhebliche Kindeswohlbeeinträchtigung, die sich bei dem Kind im Falle der Versagung des Erlasses der einstweiligen Anordnung realisieren könnte.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
Rechtswidrige Inobhutnahme
Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 7.Februar 2022
Az. 12 A 1402/18
Die alleinerziehende Klägerin begehrte unter anderem die Feststellung der rechtswidrigen Inobhutnahme ihres Kindes durch das beklagte Jugendamt.
Ausschlaggebend für die Inobhutnahme war die glaubhafte Äußerung des unter Asperger-Syndrom leidenden Kindes gegenüber einem Lehrer über mögliche gewaltsame Bestrafungen durch die Mutter. Die zuständige Fachkraft stuften diese Äußerungen aufgrund vorangegangener Konflikte als „mittlere Kindeswohlgefährdung“ ein. Das Kind wurde zunächst mit Zustimmung der Klägerin in einer Einrichtung untergebracht. Diese Zustimmung widerrief die Klägerin aus verschiedenen Gründen jedoch wieder, woraufhin die Beklagte die Inobhutnahme anordnete.
Auf Antrag der Beklagten am nächsten Tag, entzog das zuständige Familiengericht der Klägerin vorläufig das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung, die Gesundheitsfürsorge, das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten und das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Der Widerspruch gegen den entsprechenden Bescheid der Beklagten blieb erfolglos, so dass Klage erhoben wurde. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab wogegen die Klägerin die Zulassung der Berufung beantragte.
Das Oberverwaltungsgericht Münster sah im Berufungsverfahren die Klage als begründet an. Die Voraussetzungen des § 42 SGB VIII, worauf sich die Beklagte berief, lagen nach Ansicht des Gerichts nicht vor.
Das Jugendamt ist gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn dieses oder dieser um Obhut bittet. Voraussetzung für eine rechtmäßige Inobhutnahme ist danach zunächst die bloße ernst gemeinte und freiwillige Bitte des Kindes oder Jugendlichen um Obhut. Die Entscheidung des Jugendamtes, die Inobhutnahme bis zu einer familiengerichtlichen Entscheidung aufrecht zu erhalten, ist danach nur dann rechtmäßig, wenn ohne die Inobhutnahme die Gefahr einer Beeinträchtigung des Wohles des Kindes oder Jugendlichen besteht und die Eltern zur Abwehr dieser Gefährdung nicht bereit oder in der Lage sind. Hier fehlte es jedoch bereits an notwendigen Bitte des Kindes. Die vermeintliche Bitte wurde lediglich gegenüber einer Person geäußert und nicht entsprechend dokumentiert, so dass kein Nachweis für das Gericht erbracht werden konnte.
Die Inobhutnahme war zudem auf der Grundlage von § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nicht rechtmäßig. Danach ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und (a) die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder (b) eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Das Gericht sah zum Zeitpunkt der Inobhutnahme keine dringende Gefahr für das Kindeswohl. Zudem hätte eine familiengerichtliche Entscheidung – aufgrund des Bereitschaftsdienstes - rechtzeitig eingeholt werden können. Dies sei nicht versucht worden.
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster
Auskunftsbegehren nach § 1686 BGB des nicht sorgeberechtigten Elternteils
Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 14. März 2022
Az. 2 UF 29/22
Der Antragsteller ist der Vater von drei Töchtern. Er hatte seine mittlerweile volljährige Tochter im Kindesalter sexuell missbraucht, pornographische Bilddateien seiner jüngsten Tochter angefertigt und wurde wegen sexuellen Missbrauchs sowie Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Im Dezember 2021 wurde er aus der Haft entlassen und erhielt die strafbewehrte Weisung, zu seinen Töchtern und der geschiedenen Ehefrau keinen Kontakt aufzunehmen.
Bereits im Juni 2021 stellte er den Antrag an das Amtsgericht, ein aktuelles Bild seiner Kinder sowie Zeugnisse der letzten fünf Jahre zu erhalten, da er strafrechtliche Maßnahmen wegen einer Kontaktaufnahme vermeiden und alles wieder gut machen wolle. Anschließend nahm er den Antrag hinsichtlich seiner volljährigen Tochter zurück. Die Antragsgegnerin beantragte, den Antrag zurückzuweisen, weil alle Familienmitglieder durch die Ereignisse in der Vergangenheit schwer psychisch belastet seien und der Vater auch keine Verantwortung für sein Handeln übernommen habe. Das Jugendamt sprach sich ebenfalls gegen den Antrag aus.
Das Amtsgericht wies den Antrag des Antragstellers zurück. Es führte aus, aufgrund der fehlenden elterlichen Sorge und des nicht bestehenden Kontakts zu den Kindern sei ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 1686 BGB zwar gegeben. Allerdings widerspreche eine Auskunftserteilung dem Kindeswohl. Zudem sei der Antrag rechtsmissbräuchlich, da er bestehende und zu erwartende Kontaktverbote unterwanderte.
Der Vater legte Beschwerde ein. Er begründete unter anderem, es sei besser, die Familie schrittweise wieder zusammenzuführen und er habe eine Bescheinigung seines Psychiaters und Neurologen darüber, dass aufgrund seiner psychischen Stabilisierung ein Kontakt zu den Kindern wiederhergestellt werden könne. Die Antragsgegnerin und das Jugendamt hielten an ihren Positionen fest.
Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Ob bereits ein berechtigtes Interesse zur Auskunftserteilung im Sinne des § 1686 BGB vorliege, sei zweifelhaft. In der Regel bestehe es, wenn ein Elternteil keine andere zumutbare Möglichkeit hat, sich über die Entwicklung und die persönlichen Belange des Kindes zu unterrichten. Hier mache der Antragsteller jedoch die Aufhebung der Kontaktverbote und die Rückkehr zur Familie geltend. Jedenfalls widerspreche eine Auskunftserteilung dem Wohl der betroffenen Kinder. Das Kindeswohlprinzip aus § 1697a BGB umfasse auch den Kindeswillen, der von beiden betroffenen Jugendlichen berücksichtigt werden müsse. Beide Kinder wollten nicht, dass der Vater Fotos oder sonstige persönliche Informationen über sie erhalte, weil sie befürchteten, er könne ein Treffen beispielsweise an der Schule herbeiführen. Der entgegenstehende Wille der Kinder schließe den Auskunftsanspruch aus. Eine mit der Auskunftserteilung verbundene Kindeswohlgefährdung sei für den Ausschluss des Auskunftsrechts nicht erforderlich.
Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg
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