Familienzusammenführung bei Minderjährigen mit subsidiärem Schutz
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 9. September 2021
Az. C-768/19
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Rechte von Eltern gestärkt, deren Kind in Deutschland subsidiären Schutz erhalten hat. Den Eltern steht damit eine verbesserte Möglichkeit zu, diesen Schutzstatus ebenfalls zugesprochen zu bekommen.
Ein afghanischer Staatsbürger reiste in Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Mit diesem begehrte er subsidiären Schutz zum Zweck der Familienzusammenführung. Sein Sohn, der bereits in Deutschland lebte, hatte diesen Schutzstatus bereits zuvor zugesprochen bekommen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Antrag des Mannes ab und verwies unter anderem darauf, dass sein Sohn zwar bei Antragstellung minderjährig war, mittlerweile aber volljährig sei. Aus diesem Grund könne der Vater sich nicht mehr darauf berufen den Schutzstatus ebenfalls zugesprochen zu bekommen. Ein solches Recht greife nur dann, wenn das Kind zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag noch minderjährig sei.
Der EuGH hat klargestellt, dass diese Auffassung nicht mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Entscheidend sei die Frage, ob das Kind, das zuvor selbst den Asylantrag gestellt hat, zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig war oder nicht. Andernfalls könnte alleine eine lange Bearbeitung des Asylantrages schon dazu führen, dass eine Familienzusammenführung versagt wird, die bei einer schnelleren Bearbeitung hätte zugesprochen werden müssen.
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
Örtliche Zuständigkeit für eine Leistung im Anschluss an eine Hilfe nach § 19 SGB VIII
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Juni 2021
Az. 5 C 7.20
Ein Landkreis gewährte einer Mutter zunächst Unterstützung in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe. Da diese Hilfe nicht den gewünschten Erfolg brachte, beendete er diese und gewährte unmittelbar im Anschluss daran eine Hilfe nach § 19 SGB VIII.
Ein Jahr später beendete die Mutter die Hilfe auf eigenen Wunsch und beantragte Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege. Da die Mutter in den Bereich eines anderen Landkreises zog, übernahm dieser die Jugendhilfeleistung. Nach erneuter Überprüfung der örtlichen Zuständigkeit kam dieser zu dem Ergebnis, dass der vorherige Landkreis weiterhin zuständig sei und beantragte Erstattung der Kosten der Vollzeitpflege.
Nachdem dieser die Kostenerstattung abgelehnt hatte, erhob der Landkreis, der die Vollzeitpflege leistete, erfolgreich Klage beim Verwaltungsgericht Ansbach.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die statische Zuständigkeit des Beklagten ergebe sich aus dem Rechtsgedanken nach § 86b Abs. 3 SGB VIII. Ein Wechsel der Zuständigkeit solle vermieden werden, wenn eine Jugendhilfe nach §§ 27ff. SGB VIII durch eine Maßnahme nach § 19 SGB VIII unterbrochen und anschließend wieder zu einer Jugendhilfeleistung nach §§ 27ff. SGB VIII zurückgekehrt werde.
Mit seiner Revision hat der Beklagte sein Interesse an der Klageabweisung weiterverfolgt. Die Regelung des § 86b Abs. 3 SGB VIII regele nicht, welcher Träger für eine im Anschluss an § 19 SGB VIII nachfolgende Leistung zuständig sei. Die Zuständigkeit richte sich in solchen Fällen grundsätzlich nach § 86 SGB VIII.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtsauffassung des Beklagten bestätigt. Die Zuständigkeit für eine Leistung im Anschluss an eine Hilfe nach § 19 SGB VIII bestimme sich regelmäßig nach § 86 SGB VIII und auch dann, wenn zwischen beiden Leistungen ein einheitlicher Leistungszusammenhang besteht. Eine Anwendung des § 86b Abs. 3 SGB VIII komme nicht in Betracht. Der Leistungsbeginn, an den § 86 SGB VIII anknüpft, sei im vorliegenden Sachverhalt der Zeitpunkt vor der gewährten sozialpädagogischen Familienhilfe, da es sich bei dieser und den darauffolgenden Hilfen um eine einheitliche Leistung handele.
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
Bestellung eines örtlich unzuständigen Jugendamts als Amtsvormund für einen unbegleiteten ausländischen Minderjährigen
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. September 2021
Az. XII ZB 231/21
Zwei unbegleitete afghanische Jugendliche wurden im Landkreis Rosenheim aufgegriffen und vom Kreisjugendamt Rosenheim vorläufig in Obhut genommen. Das Amtsgericht wählte das Kreisjugendamt Rosenheim als Vormund aus. Da die beiden Minderjährigen zu diesem Zeitpunkt bereits in einer Einrichtung im Landkreis Freising wohnten, entließ das Amtsgericht auf dessen Bitte das Kreisjugendamt Rosenheim als Vormund und bestimmte das Amt für Jugendamt in Freising für beide zum Vormund. Die hiergegen eingelegten Beschwerden des Landkreise Freising hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Vorinstanz war von einer Abweichungsmöglichkeit von § 88a SGB VIII aus sachlichen Gründen ausgegangen. Entgegen dieser Ansicht hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass die Bestellung eines nach § 88a SGB VIII örtlich unzuständigen Jugendamts als Amtsvormund für einen unbegleiteten ausländischen Minderjährigen nicht zulässig sei. Es sei zwar im Grundsatz richtig, dass dem Familiengericht im Rahmen von § 1779 BGB ein Auswahlermessen zukomme. Führe die Ausübung dieses Auswahlermessens jedoch zu dem Ergebnis, dass es der Bestellung des Jugendamts als Amtsvormund für einen unbegleiteten ausländischen Minderjährigen bedarf, dann sei das nach § 88 a Abs. 4, Abs. 1 bis 3 SGB VIII zuständige Jugendamt zu bestellen. Das Familiengericht habe kein Auswahlermessen, welches Jugendamt es zum Vormund bestimme. Dies stehe auch im Einklang mit dem Leitgedanken des Kindeswohls.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Weiterleitung eines Antrages durch das Jugendamt bei Eintritt der Volljährigkeit
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen , Beschluss vom 9. Juni 2021
Az. 12 B 636/21
Bis zum Eintritt der Volljährigkeit gewährte ein örtlicher Träger der Jugendhilfe einem Jungen Hilfe nach § 35a SGB VIII. Mit Eintritt der Volljährigkeit stellt er einen Antrag auf Hilfe für junge Volljährige, wobei die bisherige Unterbringung fortgeführt werden sollte. Der Jugendhilfeträger leitete den Antrag an den aus seiner Sicht zuständigen Rehabilitationsträger weiter.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hielt den örtlichen Jugendhilfeträger für nicht mehr zuständig. Die hiergegen gerichtete Beschwerde im Eilverfahren hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen.
Der örtliche Träger sei nicht mehr zuständig, da er den Antrag zulässigerweise und fristgemäß gemäß § 14 SGB IX weitergeleitet habe. Wenn Leistungsberechtigte erstmals nach Erreichen des 18. Lebensjahres einen Folgeantrag stellen, sei der Eintritt der Volljährigkeit eine gesetzliche Zäsur. Die Leistung bis dahin sei auf Grundlage der Vorschriften für Leistungen an Kinder und Jugendliche erfolgt und die ab Volljährigkeit einschlägige Vorschrift des § 41 SGB VIII habe andere Voraussetzungen und eine andere Zielrichtung als die Hilfen während der Minderjährigkeit. Infolgedessen handele es sich nicht (bloß) um einen Folgeantrag, für den § 14 SGB IX nicht gelte und bei dem eine Weiterleitung unzulässig sei. Vielmehr sei der Antrag auf Weiterführung der Hilfen auch dann als Neuantrag nach § 14 SGB IX anzusehen, wenn die tatsächliche Ausgestaltung der Leistung nach § 41 SGB IX mit der vor Eintritt der Volljährigkeit gewährten Hilfe identisch sei. Aufgrund der anderen Anspruchsgrundlage könne von einem einheitlichen Leistungsgeschehen keine Rede sein, dieses sei vielmehr ein neues.
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts
Beteiligung der ehemaligen Pflegeeltern an einem Eilverfahren zum Kinderschutz
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 29. September 2021
Az. 1 WF 111/21
In einem kinderschutzrechtlichen Eilverfahren wollten die ehemaligen Pflegeeltern des betroffenen Kindes beteiligt werden. Der Junge war während des Hauptsacheverfahrens von den Pflegeeltern in den Haushalt der Großmutter gewechselt. Das Eilverfahren, das etwa einen Monat nach dem Umzug eingeleitet worden war, führte zu der Übertragung von Teilen des Sorgerechts auf die Großmutter als Ergänzungspflegerin. Die Pflegeeltern haben einen Antrag auf formliche Beteiligung am Verfahren gestellt, der vom Amtsgericht Weilburg abgelehnt wurde. Die Beschwerde beim Amtsgericht blieb erfolglos.
Der hiergegen gerichteten Beschwerde hat das Oberlandesgericht Frankfurt stattgegeben und entschieden, dass die Pflegeeltern gemäß § 161 FamFG am Eilverfahren zu beteiligen sind. Das Gericht könne in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, die Pflegeperson im Interesse des Kindes als Beteiligte hinzuziehen, wenn das Kind längere Zeit in Familienpflege gelebt habe. Wie im Falle des § 1632 Abs. 4 BGB sei die Norm so auszulegen, dass solche Pflegeeltern in den Anwendungsbereich einzubeziehen seien, wenn ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Herausnahme des Kindes aus deren Haushalt und der Einleitung des Verfahrens bestehe. Denn eine nur kurzfristige Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie, welche noch in einem anhängigen Hauptsacheverfahren überprüft wird, könnte im Interesse des Kindes rückgängig zu machen sein, gerade auch um eine Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie zur Unzeit zu vermeiden beziehungsweise in ihren Auswirkungen auf das Kind zu beschränken.
Entscheidung des Oberlandesgerrichts
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