Grenzen des Kostenbeitrags junger Menschen
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. Dezember 2020
Az. 5 C 9.19
Die 1993 geborene Klägerin, mit einem höheren Grad als schwerbehinderter Mensch anerkannt, begann im Dezember 2014 in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu arbeiten. Sie erhielt ein Monatsentgelt von 88 Euro. Gleichzeitig wurde ihr Hilfe für junge Volljährige in einer vollstationären Wohngruppe gewährt. Der beklagte Landkreis erhob für die Zeit von Januar 2015 bis Juli 2016 einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 75 Prozent des Einkommens. Im Widerspruchsverfahren setzte der Beklagte den Beitrag auf durchschnittlich 67 Euro monatlich fest und verlangte eine Nachzahlung in Höhe von 1373,95 Euro. Die Klage richtete sich gegen diesen Bescheid.
Beide Vorinstanzen, das Verwaltungsgericht Dresden und das Oberverwaltungsgericht Bautzen haben der Klägerin recht gegeben. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen.
Der Kostenbeitragsbescheid sei rechtswidrig, weil § 93 Absatz 4 Satz 1 SGB VIII nicht angewendet wurde. Danach ist das durchschnittliche Monatseinkommen maßgeblich, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung vorangeht. Diese Regelung gelte auch für die Heranziehung zu Kostenbeiträgen nach § 94 Absatz 6 Satz 1 SGB VIII. Die rechtspolitische Kritik an dieser Regelung und die Reformbestrebungen seien für die Auslegung des geltenden Rechts unerheblich. Zudem habe die Beklagte von ihrem gemäß § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Danach kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben werden oder von der Erhebung gänzlich abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Jugendhilfeleistung dient. Diese Voraussetzung sei erfüllt, da die Hilfe für junge Volljährige als auch die Tätigkeit in der Werkstatt für behinderte Menschen der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und einer selbstständigen sowie eigenverantwortlichen Lebensführung diene.
Kindesunterhalt: Erklärung unbegrenzter Leistungsfähigkeit schließt Auskunftspflicht nicht aus
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16. September 2020
Az. XII ZB 499/19
Die Ehe der Eltern eines im Jahr 2011 geborenen Mädchens wurde im Jahr 2014 geschieden. Seit der Trennung der Eltern lebt das Kind bei der Mutter. Der unterhaltspflichtige Vater verweigerte die Auskunft über sein Einkommen. Er hatte sich zu einer Zahlung von 160 % des Mindestunterhalts gemäß der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle verpflichtet und sich für unbegrenzt leistungsfähig erklärt.
Das Amtsgericht München und das Oberlandesgericht München haben einen Auskunftsanspruch der Tochter anerkannt. Auch die Rechtsbeschwerde des Vaters beim Bundesgerichtshof (BGH) war nicht erfolgreich. Eine Auskunftsverpflichtung gemäß § 1605 BGB bestehe nur ausnahmsweise nicht, wenn feststeht, dass die begehrte Auskunft den Unterhaltanspruch unter keinem Gesichtspunkt beeinflussen kann. Hier könne die Offenlegung der Einkünfte aber Auswirkungen auf den Unterhalt haben.
Die Düsseldorfer Tabelle sehe bei Überschreiten der höchsten Einkommensgruppe eine Einzelfallprüfung vor. Daher sei die finanzielle Auskunft schon für die Unterhaltsberechnung erforderlich. Der BGH, der eine Fortschreibung des Berechnungsschemas der Düsseldorfer Tabelle nach der letzten Einkommensgruppe bisher abgelehnt hat, hält an dieser Rechtsprechung nicht mehr uneingeschränkt fest.
Da Kinder grundsätzlich am Lebensstandard der Eltern teilnehmen, soweit sie ihre Lebensstellung von ihnen ableiteten, müssten auch besonders günstige wirtschaftliche Verhältnisse beim Unterhalt berücksichtigt werden. Zwar eröffne der Unterhalt keine Teilhabe am Luxus, aber es sei möglich, den Unterhalt anhand des Einkommens aus einer Fortschreibung des Tabellenbedarfs zu ermitteln. Das entspreche der neueren Rechtsprechung zum Ehegattenunterhalt.
Jedenfalls dann, wenn wie in dem vorliegenden Fall ein Mehrbedarf neben dem Regelbedarf geltend gemacht werde, sei eine Einkommensauskunft unerlässlich, da für den Mehrbedarf beide Eltern anteilig aufkommen müssen. Ansonsten könnten die Haftungsquoten nicht errechnet werden.
Entziehung der elterlichen Sorge bei lebenslanger Haft
OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. August 2020
Az. 13 UF 64/19
Der Vater von zwei in den Jahren 2005 und 2006 geborenen Söhnen und einer 2015 geborenen Tochter hatte die Mutter der gemeinsamen Kinder getötet, wofür er vom Landgericht wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Daraufhin hat das Familiengericht dem Vater das Sorgerecht für die Kinder entzogen.
Seine hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg. Es liege eine Kindeswohlgefährdung in Gestalt einer greifbar drohenden Störung einer noch andauernden, notwendigen Traumaverarbeitung vor. Die Entziehung der elterlichen Sorge des Vaters nach § 1666 BGB sei geeignet, um dieser erforderlichen Traumaverarbeitung bei allen Kindern Rechnung zu tragen. Dies entspreche dem autonom gebildeten Willen der Kinder nach größtmöglichem Abstand zum Vater als Mörder ihrer Mutter. Die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB komme hier als milderes Mittel nicht in Betracht, da die Gefahr bestehe, dass die Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse durch Missachtung der Bedürfnisse und des Willens der Kinder beeinträchtigt werde.
Keine Sorgerechtsübertragung auf den Vater, wenn gewichtige Nachteile für das Kind entgegenstehen
Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 8. Dezember 2020
Az. 5 UF 66/20
Ein 2016 geborenes Kind lebte nach seiner Geburt bei der allein sorgeberechtigten Mutter. Seine Eltern waren nicht verheiratet und lebten auch nie gemeinsam mit ihrem Kind zusammen. Die Mutter lebte mit ihrem Kind erst in einer Mutter-Kind-Einrichtung und erhielt später ambulante Betreuung. Als eine Kindeswohlgefährdung festgestellt wurde entzog das Familiengericht im Februar 2019 der Mutter vorläufig das Sorgerecht. Diese Entscheidung hat das Familiengericht im Hauptsacheverfahren im Mai 2019 bestätigt und das Sorgerecht dem Jugendamt übertragen. Seither ist das Kind mit Einverständnis der Mutter fremduntergebracht. Die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater hat das Gericht wegen festgestellter Defizite in der Erziehungsfähigkeit abgelehnt. Gegen diese Entscheidung hat der Vater erfolglos Beschwerde eingelegt.
Nach § 1680 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 3 BGB hat das Familiengericht dann, wenn einem allein sorgeberechtigten Elternteil die elterliche Sorge entzogen wird, diese dem bisher nicht sorgeberechtigten Elternteil zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Nach der gesetzlichen Konzeption ist die Übertragung des Sorgerechts also der Regelfall. Nach Ansicht des Gerichts ständen der Übertragung jedoch Kindesinteressen entgegen. Es müsse keine Gefährdung des Kindeswohls festgestellt werden. Es genüge vielmehr, wenn weniger gewichtige Nachteile für das Kind entgegenstehen. Solche lägen unter anderem wegen des Zusammenspiels aus mangelnder Vertrautheit, vorheriger fehlender Übernahme von Elternverantwortung, Defizite in der Erziehungsfähigkeit, bisherige schlechte Erfahrungen bei der Kooperation des Vaters mit dem Helfersystem und Umgangskonflikten mit der Mutter vor.
Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes
Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 18. November 2020
Az. 26 K 15473/17
Am 22. März 2011 wurde die Hilfeempfängerin zur stationären Diagnostik aufgenommen. Aufgrund eines Missbrauchsverdachts im häuslichen Umfeld, suchte das Jugendamt im Anschluss an die Diagnostik eine passende Jugendhilfeeinrichtung. Bis ein geeigneter Platz gefunden sei, sollte die Hilfeempfängerin in der Einrichtung verbleiben. Eine Fortsetzung des bisherigen diagnostischen Prozesses wurde als notwendig angesehen.
Am 12. Dezember beantragte der Vormund Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege. Am 22. Dezember 2011 zog die Hilfeempfängerin in eine Pflegefamilie, die im Bereich des Klägers lebte.
Der Kläger übernahm den Hilfefall ab dem 1. Oktober 2014 nach § 86 Abs. 6 SGB VIII und beantragte Kostenerstattung nach § 89a Abs. 2 SGB VIII beim Beklagten.
Der Beklagte lehnte die Kostenerstattung ab. Ohne Anwendung der Sonderzuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII läge eine Zuständigkeit nach § 86 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 4 SGB VIII vor. Die Hilfeempfängerin habe vor Leistungsbeginn ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Klinik begründet. Dieser Aufenthalt, mit einer Dauer von neun Monaten, stelle keinen vorrübergehenden und damit tatsächlichen, sondern einen gewöhnlichen Aufenthalt dar.
Der Kläger erwiderte, dass von Beginn an feststand, dass die Hilfeempfängerin in eine Fachpflegefamilie vermittelt werden solle. Dadurch sei deutlich, dass es sich lediglich um einen vorrübergehenden Aufenthalt in der Klinik handele. Nach Ansicht des Beklagten handele es sich jedoch um einen zukunftsoffenen Aufenthalt, da ein konkreter Auszugstermin in der Einrichtung nicht festgestanden habe.
Am 5. Dezember 2017 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben und hat beantragt, den Beklagten zu verpflichten die Kosten nach § 89a Abs. 2 SGB VIII ab dem 1. Januar 2014 zu erstatten.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Köln ist ein Aufenthalt nicht schon deshalb zukunftsoffen, weil ein konkreter Endzeitpunkt nicht genannt werden kann. Entscheidend sei vielmehr, dass der Aufenthalt in der Klinik auf die notwendige Dauer der stationären Behandlung und gegebenenfalls eine geringe Übergangszeit bis zum Bereitstehen der erforderlichen Anschlussunterbringung begrenzt war.
Damit habe die Hilfeempfängerin lediglich einen tatsächlichen Aufenthalt in der Einrichtung begründet und der Kläger habe einen Kostenerstattungsanspruch nach § 89a SGB VIII gegenüber dem Beklagten.
Anspruch auf Rückzahlung zu Unrecht geforderter Kita-Gebühren
Amtsgericht Köln, Urteil vom 23. November 2020
Az. 130 C 346/20
Das Kind der Kläger wurde in der Zeit von November 2017 bis Juli 2020 in der Kindertageseinrichtung der Beklagten betreut. In den Betreuungsvertrag waren die jeweils aktuelle Gebühren- und Beitragsordnung sowie die anderen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten miteinbezogen. Hiernach hatten die Kläger neben den vom Jugendamt erhobenen Elternbeiträgen zusätzliche Gebühren an die Beklagte zu zahlen. Es wurden eine Aufnahmegebühr (200 Euro), eine jährliche Elternhelferpauschale mit Erstattungsmöglichkeit (150 Euro), eine monatliche Verpflegungsgebühr (90 Euro), eine monatliche Kitagebühr für besondere Angebote (60 Euro) sowie eine monatliche Windelpauschale für Kinder unter drei Jahren (15 Euro) berechnet.
Mit Ihrer Klage begehrten die Eltern die Rückzahlung der geleisteten Aufnahmegebühr, der Elternhelferpauschale und der Windelpauschale für die Zeit, in der keine Windeln mehr benötigt wurden.
Das Amtsgericht Köln hat der Klage stattgegeben. Den Klägern stehe ein Rückzahlungsanspruch gemäß § 812 Absatz 1 Satz 1 Alternative 1 BGB zu. Die Eltern seien nicht zur Zahlung verpflichtet gewesen, weil die Bestimmungen der Beitrags- und Gebührenordnung der Beklagten nach § 307 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Nummer 1 BGB unwirksam seien. Die Klauseln der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hielten einer Inhaltskontrolle nicht stand, da sie vom wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abwichen. Allein das Jugendamt dürfe festlegen, welche Kostenbeiträge von Erziehungsberechtigen erhöben werden können. Das ergäbe sich aus der Auslegung von § 23 Kinderbildungsgesetz (KiBiz) alter Fassung. Bei § 23 KiBiz alter Fassung in Verbindung mit § 90 SGB VIII handele es sich um eine abschließende Regelung. Zusätzliche Elternbeiträge im Wege einer verdeckten Beitragserhebung seien nicht zulässig. Das belege auch § 23 Absatz 4 KiBiz alter Fassung mit seiner Ermächtigung Entgelt für Mahlzeiten zu verlangen. Die Regelung stelle klar, dass ein Träger einer Kindertageseinrichtung nicht die Kompetenz zur Erhebung anderer Beiträge besitze.
Mittlerweile normiert § 51 Abs. 1 KiBiz dies ausdrücklich.
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